SCALINA

Gabrielle Bieber-Delfosse

Dr. phil. Psychologin FSP

Scalina   Wer Was Publi Presse Wo Wie

TELE Nr. 26/99, Kinderspiel, Von Anja Müller


Kinderstars gibts nicht nur in Amerika.


Auch in der Schweiz bewegen sich Kids im

grellen Scheinwerferlicht ? das kann für sie

grosse Vor-, aber auch Nachteile haben.

Gabrielle Bieber-Dellfosse, Spezialistin auf

dem Gebiet «Kinderstars», findet es be-

sonders wichtig, dass Eltern verantwortungs-

voll mit dem Kind und seinen neuen Auf-

gaben umgehen.


Kinder, die in den USA bei Film und Fernsehen vor der Kamera stehen, bewegen sich auf einem gefährlichen Terrain. Der heute 17-jährige Macaulay Culkin, der Lausbub aus "Kevin allein zu Haus", gilt für besorgte Jugendschützer als Paradebeispiel eines Kindes, das seine Kindheit an Hollywoods Filmindustrie verlor. Culkin, der bereits mit fünf Jahren seine erste Spielfilmrolle bekam, liess sich von seinen Eltern das Geld aus den Taschen ziehen, heiratete als Minderiähriger, raucht und trinkt und kann mit Jugendlichen seines Alters nichts mehr anfangen. Auch in der Schweiz kommen Kinder vor der Kamera zum Einsatz. In der ziemlich überschaubaren Szene ist die Gefahr jedoch geringer, dass Minderjährige von ihren Eltern gepusht und ausgenutzt werden - denn viel Geld gibts beim Schweizer Film nicht zu holen. Der Schritt aus dem behüteten Alltag ins helle Rampenlicht ist trotzdem kein Kinderspiel. Darum ist es besonders wichtig , dass die Eltern verantwortungsvoll mit dem Kind und seiner neuen Aufgabe umgehen. Gabrielle Bieber-Delfosse, Kinder- und Jugendpsychologin und Spezialistin auf dem Gebiet "Kinderstars", erklärt: "Die Gefahr kann durch eine gute elterliche Betreuung gemindert werden, zusätzlich braucht es aber unbedingt neutrale Aussenstehende, die die Situation beobachten und wenn nötig die Notbremse ziehen.»


So wurde auch Maribelle Kuhn (8), die vor zwei Jahren eine der Hauptrollen in Fredi M. Murers Spielfilm «Vollmond» spielte, in den 22 Drehtagen von verschiedenen Personen betreut. Maribelles Eltern Alexandra und Albert Kuhn überlegten gut, ob sie ihre Tochter dem Schweinwerferlicht aussetzen wollten. Alexandra Kuhn: «Nach vielen intensiven Gesprächen mit dem Regisseur und dem Filmteam hatten wir ein gutes Gefühl bei der Sache. Das war uns das Wichtigste. Alles war sehr gut organisiert und MaribeIles Anliegen wurden ernst genommen.»


Doch auch nach dem Dreh kann einiges auf ein Kind zukommen. Floppt die Produktion, ist der Mini der gnadenlosen Schelte der Kritiker ausgesetzt. Thomas Peter (18), der Titelheld der umstrittenen Schweizer TV-Sitcom «Tobias», hat dies vor sechs Jahren am eigenen Leib erfahren: «Als die Sendung verrissen wurde, hatte ich anfänglich schon Mühe und war enttäuscht. Erst mit der Zeit konnte ich mich distanzieren. » Trotzdem würde der junge Mann, der heute eine Lehre als Koch absolviert, sofort wieder fürs Fernsehen arbeiten: «Mich stimmt es schon ein wenig wehmütig, dass die TV-Arbeit vorbei ist. Der Traum, wieder als Schauspieler zu arbeiten, ist immer noch in meinem Hinterkopf.» Bei manchen Jugendlichen kann genau dies zum Problem werden. Gabrielle Bieber-Dellfosse: «Auch wenn dem Kind immer wieder gesagt wird, dass die Aufgabe beim Film oder Fernsehen nur vorübergehend ist, kann das in ihm Wünsche auslösen, die danach nicht mehr erfüllt werden können.» Walter und Barbara Wigger, deren Sohn Noel (7) in der kommenden Schweizer TV-Soap «Lüthi und Blanc» in einer Nebenrolle zu sehen sein wird, finden es schlimm, einem Kind eine gegebene Chance einfach zu verwehren: «Man kann genauso viel Unheil anrichten, wenn man einem Kind aus eigenen Ängsten heraus im Wege steht, wenn es etwas tun möchte, wie wenn man es zum Schauspielen zwingen würde.» Auch die Eltern von Cinzia Venafro (11) wollten ihrer Tochter, die immer schon beim Fernsehen arbeiten wollte, die Chance als Moderatorin bei der Kindershow «Kids Live» auf SF DRS nicht verbauen. Sie behalten sich jedoch vor einzugreifen, sollte sich Cinzia negativ verändern. Gabriella Venafro: «Ich hatte Angst, dass ihr diese Aufgabe zu Kopf steigen könnte - in diesem Alter ist es nicht einfach, mit Erfolg umzugehen.»


«Das Problem entsteht dann», so Bieber-DeIfosse, «wenn das Kind anfängt sein Selbstbewusstsein über die Funktion beim Film und TV aufzubauen. Durch den bevorstehenden Karrierebruch kann es seinen Selbstwert vermindern. Die Aufgabe vor der Kamera kann aber durchaus, so Bieber-DeIfosse, auch positive Auswirkungen für den Youngster haben. Dabei kommt es klar darauf an, wie häufig das Kind zum Dreheinsatz kommt: «Gerade einem bescheidenen Kind kann es gut tun, eine solche Aufgabe zu meistern und Einblick in eine Welt zu erhalten, wo es mehr ist als nur eines von vielen. Entscheidend ist, dass es wieder loslassen kann. «Cinzia wäre schon ein bisschen traurig, wenn ihr Job zu Ende ginge, «aber irgendwann muss es halt sein». Und zudem ist Modedesignerin Cinzias erklärter Berufswunsch. Und auch bei der kleinen Maribelle steht nicht die Schauspielerei zuoberst auf der Liste: Sie will Tierschützerin werden.


ANJA MÜLLER